Klassische Homöopathie versus Klinische Homöopathie

Vet holding homeopathic globules for a little maltese dog

Viele Menschen wenden sie an – die Homöopathie… viele arbeiten mit Komplexmitteln oder differenzieren die Gabe eines einzelnen Mittels über ein oder maximal zwei Symptome – weil dieses Mittel bei entsprechenden Symptomen bereits oft geholfen haben… Diese Art der Homöopathie – ich nenne sie Klinische Homöopathie – wird von Kollegen auch Kindergartenhomöopathie genannt.

Die Klassische Homöopathie ist sehr viel komplizierter – ein / zwei Symptome reichen nicht aus – sondern ausschlaggebend für die Mittelverordnung ist eine ausführliche Anamnese, die dann gründlich und sorgfältig in Symptome übersetzt wird. Die Symptome werden gesammelt und differenziert, mit dem Wunsch die Gesamtheit der Symptome zu bestimmen, um das passende Mittel zu differenzieren, das beim Gesunden dieselben Symptome hervorrufen würde, die diese Krankheit hervorgebracht hat. Ganz nach dem Grundsatz der Homöopathie, den Samual Hahnemann geprägt hat: Similia similibur curentur – Gleiches mit Gleichem heilen.

In diesem Sinne bieten sich nach der Anamnese und der Repertorisierung normalerweise mehrere Mittel an, diese werden dann anhand der Materia Medica differenziert um für den Patienten das passende Mittel zu finden – ausschlaggebend sind in der Klassische Homöopathie nach Kent in der Regel die Gemütssymptome des Patienten. Passen diese zu den Symptomen der Hauptbeschwerde, ist ein Mittel gefunden.

Problematisch ist dabei in erster Linie in meiner Branche, dass Tiere nicht mit mir sprechen und mir nicht mitteilen können, ob der Schmerz beispielsweise brennend oder stechend ist und auch die Gemütssymptome können nicht verbal benannt werden, sondern beruhen allenfalls auf einer vagen Zusammenstellung der Beobachtungen des Halters und des Therapeuten.

Dies ist sicherlich der Hauptgrund, warum im Tierbereich die Klinische Homöopathie ungleich häufiger zur Anwendung kommt, insbesondere wenn es sich um ein Organ handelt, dass problematisch ist, werden sehr gerne Organmittel gegeben, beispielsweise Berberis für die Niere.

Was also sind die Vorteile der Klassischen Homöopathie? Warum sollte ich mich dem aufwändigen Verfahren einer gründlichen Anamnese unterwerfen, dass viel Zeit kostet und am Ende auf Vermutungen basiert?

Dazu möchte ich zwei Beispiele geben: auf einem Gnadenhof lebt eine Hündin aus dem Tierschutz, die in ihren Möglichkeiten enorm eingeschränkt war – sie war derart traumatisiert, dass eine Couch im ersten OG ihren kompletten Lebensraum umfasste – sie verlies diese nie, auch nicht zum Lösen und musste entsprechend mit Windeln etc. versorgt sein. Nach der Aufnahme ihrer Symptome (u.a. musste immer Licht vorhanden sein), ermittelte ich das für sie passende homöopathische Mittel Stramonium. Es wurde in zwei Potenzen gegeben und inzwischen verlässt sie die Couch und wagt sich sogar in den Hof. Ohne die Zusammenstellung ihrer Symptome wäre das völlig unmöglich gewesen.

Möglicherweise wäre ihr das homöopathische Mittel Aconitum (Schreck, Schock, Todesangst) verabreicht worden, dass wäre aber mit ziemlicher Sicherheit wirkungslos geblieben.

Das nächste Beispiel: auf demselben Gnadenhof lebt auch ein Ziegenbock namens Anton. Anton hatte ein großes Hautproblem – seine Haut war besonders am Rücken und am Mähnenkamm stark verdickt, faltig, wirkte schuppig und er hatte an diesen schlimmen Stellen kaum Fell.

In diesem Fall erfolgt die gründliche Anamnese erst später, um den Fall sozusagen von hinten aufzurollen – ich hatte sehr spontan aus meiner Erfahrung entschieden: das ist Sulfur! Einige Monate später hatte Anton überall ein wunderbares Fell und es gab keine Anzeichen mehr von Hautproblemen.

Beispiel Nummer 1 – Homöopathie nach Klassischem Muster, Beispiel Nummer 2 – Homöopathie nach Klinischem Muster.

Variante Nummer 1 kann nur von einem entsprechend ausgebildeten Therapeuten angewendet werden, Variante Nummer 2 wird oft verwendet – die einschlägigen Hersteller von homöopathischen Mitteln haben zum Beispiel für solche Symptomkomplexe Komplexmittel entwickelt, die die Arbeit weiter erleichtern sollen. Da muss ich gar nicht mehr differenzieren, ich entscheide mich einfach für ein Komplexmittel mit dem Schwerpunkt Haut.

Nachteil, aber dies nur am Rande – besagte Komplexmittel bestehen aus mehreren Mitteln in niedrigen Potenzen, in denen noch vergleichsweise viel Wirkstoff enthalten ist. Je nach Häufigkeit der Gabe, können hier viele Nebenwirkungen entstehen – die Häufigkeit der Gabe könnte die Situation einer Arzneimittelprüfung entstehen lassen. Weiterhin können die Symptome verfälscht respektive verändert werden und zum dritten kann ich, falls etwas im Komplexmittel geholfen hat, nicht nachvollziehen, was – ergo, ich kann es nicht reproduzieren.

Wann entscheide ich mich also für welches Verfahren?

In einer akuten Situation, die vielleicht durch einen Unfall oder eine Operation entstanden ist, muss ich nicht lange repertorisieren – Arnika ist das Mittel der Wahl, das bei traumatischen Verletzungen zur Anwendung kommt. Bei Bienenstichen hilft Apis oder bei Katzenbissen Ledum – die Wundheilung wird durch Calendula angestupst oder bei einer Blasenentzündung ist das erste Mittel der Wahl in der Regel Cantharis. Diese Situationen können mit Klinischer Homöopathie behandelt werden.

Stellt sich die Situation allerdings komplizierter dar – ist z.B. diese Erkrankung rezidivierend, d.h. kehrt immer wieder zurück – hat das gewählte Mittel also nicht nachhaltig geholfen oder gibt es überhaupt keine Reaktion auf das nach Erfahrungswerten gewählte Mittel – in diesem Fall muss ich gründlicher schauen!

Die Homöopathie verfügt über rund 2000 unterschiedliche Mitteln – dies vervielfältigt sich noch enorm, da es viele verschiedene Potenzen pro Mittel gibt.

Und die Entscheidungsfähikgkeit für das geeignete Mittel und die passende Potenz, das Wissen um chronische Krankheiten, die im Untergrund lauern können, die Einschätzung der Lebenskraft, die richtigen Fragen zu stellen und diese richtig auszuwerten und so vieles mehr – all das hat nur ein Klassisch arbeitender Homöopath gelernt.

Und leider kommt es so in der Klinischen Homöopathie häufiger zu erfolglosen Behandlungsversuchen, die den Ruf der Homöopathie schädigen. Diese Variante vermittelt den Eindruck einfach zu sein – die Homöopathie ist allerdings ein komplettes, komplexes Medizinsystem – ganz genau wie die Allopathie (die ‚normale‘ Medizin) und es benötigt Jahre um dieses Verfahren gründlich zu erlernen und um sattelfest zu sein. Aber es lohnt sich – viele Patienten beweisen es mir – die Klassische Homöopathie verpflichtet mich u.a. zur Ursachenforschung und Gründlichkeit – nur so kann in Fällen wie zum Beispiel der Hündin aus dem Tierschutz geholfen werden.

 

Hinterlassen Sie einen Kommentar